Regeln! Regeln ?

(CB) Ein ordentlicher Fotograf hält sich an die fotografischen Regeln. Diese bilden sozusagen das „Gesetzbuch“ der Fotografie. Was ich davon halte, habe ich schon hier beschrieben. Regeln geben natürlich einen gewissen Halt, helfen bei der Bewältigung von „Standard-Situationen“. Also: „Mitten in der Nacht, nimm‘ Blende 8!“(1) Und in „Nicht-Standard-Situationen“ darf man dann auch schon mal die Regeln brechen und es genau so machen, wie man es eigentlich nicht machen darf. Aber nur ausnahmsweise. Also ganz selten. Am besten gar nicht. Denn die Menschen, die stets bemüht sind, regelkonform zu fotografieren, verstehen üblicher Weise keine Bilder, die nicht den ihnen bekannten Regeln entsprechen. Die Deutung fällt dann schwer, weil man sich nicht am Formalen abarbeiten kann und das Bild, welches man gerade betrachtet, nicht auf die gewohnte Weise analysiert und für gut oder schlecht befunden werden kann. Die übliche Formel „Alle Regeln eingehalten = gutes Bild“ passt dann nicht – sie lautet dann vielmehr „Keine Regel eingehalten = schlechtes Bild“. In einem thematisch etwas anders ausgerichteten Blogbeitrag habe ich hier dazu geschrieben.

Die Frage ist natürlich, ob ich den „allgemein anerkannten Regeln der Fotografie“ folge oder sie permanent mißachte.

Das „Dumme“ an diesen „allgemein anerkannten Regeln der Fotografie“ ist, dass man ihnen nicht ausweichen kann. Wer sich nur etwas mehr für Fotografie interessiert und beginnt, selbst zu fotografieren, wird zwangsläufig mit diesen Regeln konfrontiert. Und meistens werden diese dann auch sehr anschaulich und einprägsam an beeindruckenden Fotografien erläutert. Wer’s nicht glauben mag, möge ein „Anfänger-Buch“ über Fotografie aufschlagen. Kurz nach der Darstellung von Kameras, Objektiven und Zubehör kommen Aufnahmetechniken und Tipps zur Bildgestaltung. Immer. Und wer regelmäßig eine Fotofachzeitschrift liest, wird auch in schöner Regelmäßigkeit mit Themen wie „So werden Ihre Urlaubsbilder besonders!“ oder „Besser fotografieren im Winter!“ konfrontiert. Man lernt m.E. die Regeln ohne dass man dies bewusst macht. Allein durch die Anzahl der Wiederholungen und die Regelmäßigkeit dieser Wiederholungen.
Ich fotografiere seit meinem 16. Geburtstag. Damals kaufte ich mir meine erste Spiegelreflexkamera und las und las und las – alles, was ich über Fotografie in die Finger bekam. Dem Ausprobieren setzte damals noch das Geld für die Filmentwicklung und die Abzüge enge Grenzen. Schlicht: ich konnte mir viele „Fehlschüsse“ nicht leisten. Also versuchte ich, bei jedem Bild, das ich machte, die Regeln einzuhalten. Was ich bekam ? Langweilige, durchschnittliche Bilder. Aber das wusste ich damals nicht. Und wer sollte es mir sagen ? Ich hätte besser Museen und Ausstellungen besuchen sollen. Die wenigsten „Ikonen“ der Fotografie folgen den Regeln. Und wenn, dann wohl eher zufällig – ich kenne keinen durchschnittlichen Betrachter, der nach Drittelaufteilung, Vorderungund, Mittelgrund, Hintergrund und Führungslinien interpretiert.

Interessant finde ich es heute, durch die nicht in Alben eingeklebten „Ausschussberge“ aus meiner Jugend zu blättern. Ja, ich habe tatsächlich immer noch einen Stapel Papierabzüge aus den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts (was eine Formulierung!), den ich immer mal wieder durchsehe – und ich stelle fest, dass ich heute die Bilder interessanter finde, die nicht regelkonform aufgenommen wurden.

Meine Schlussfolgerungen heute:

  1. Ich lasse mich nicht unter Druck setzen. Es ist meine freie Zeit. Es ist meine Kreativität. Und es ist meine Entspannung.
  2. Ich fotografiere für mich. Nicht für Dich. Wenn ich für Dich fotografieren soll, fotografiere ich, wie ich es sehe. Kann Dir gefallen, muss es aber nicht.
  3. Ich habe die ganzen „allgemein anerkannten Regeln der Fotografie“ nicht gemacht. Warum soll ich mich daran halten ? Noch hat die Bundesregierung daraus kein Gesetz gemacht. Passiert das, schmeiße ich die Kamera weg.
  4. Ich habe meine Kameras. Sie gefallen mir und ich kenne sie. Ich weiß, was ich zum Fotografieren brauche. Es ist mir egal, mit welcher Kamera Du fotografierst. Deine Kamera ist sicher besser als meine. Wahrscheinlich sogar viel besser. Testberichte langweilen mich. Siemenssterne erst recht.
  5. Ich habe meine Motive gefunden. Manche Motive haben mich gefunden. Meine Stärke ist meine Geduld, mich wieder und wieder mit dem gleichen Motiv zu befassen.
  6. Ich muss nicht alles fotografieren, was andere meinen, was man fotografiert haben müsse. Fotografier‘ Du das, was Du meinst, fotografieren zu müssen. Fotografier‘ es so, wie Du meinst, es fotografieren zu müssen. Wenn’s Dir gefällt, ist es sicherlich gut.
  7. Manche meiner Bilder sind ironisch. Manche sind sarkastisch. Andere sind zynisch. Oder provokant. Such‘ die Botschaft, nicht die Regelkonformität.
  8. Ich „missioniere“ nicht. Und ich möchte nicht „missioniert“ werden. Mach‘ Du Dein Ding.
  9. Ich hab‘ nicht immer eine Kamera dabei. Und ich fühle mich dann trotzdem gut.

 

(1) „Mitten in der Nacht, nimm‘ Blende 8!“ – Wer mich kennt, weiß, dass ich das mache. Und ich nehme gerne auch Blende 11 oder 16…