In meinem vorangegangenen Blog-Beitrag schrieb ich ja über die gruppendynamische Einengung der Anschauungen in den Kommentaren bei Bildern in Mitgliedergalerien von Fotoclubs. Natürlich betrifft dieser „Echokammer-Effekt“ – ein Begriff aus den Kommunikationswissenschaften – nicht nur Fotoclubs, sondern alle „sozialen Medien“, in denen sich gleichgesinnte Menschen zu Gruppen zusammenschließen. Sehr schön wird dies hier am Beispiel der politischen Diskussion dargestellt.
Technische Details…
…erscheinen dem ein odere anderen Kommentator in den Galerien der Mitglieder bedeutsamer, als Bildinhalte und Bildaussagen. Unter eine Serie akzeptabler Bilder von Schwarzdrosseln im Winter an einer Futterstelle hatte ich ein „technisch unzureichendes“ Bild plaziert:
Das Bild zeichnet sich nicht gerade durch besondere Originalität aus. Dafür aber durch allgemein als unschön empfundene Farbsäume und -überlagerungen, die man als chromatische Aberrationen identifizieren könnte; sie stammen allerdings von zwei reflektierenden farbigen Flächen und sind – anders als chromatische Aberrationen – nicht nur auf den Hell/Dunkel-Grenzbereich beschränkt. Und genau auf diese „technische Unzulänglichkeit“ und die anzustrebende technische Perfektion eines Bildes fokussierten die Kommentare. Nicht etwa darauf, dass das Bild für sich genommen eigentlich unspektakulär ist. Und: ein Kommentator legt vor, die anderen ziehen nach. Klassische „Echokammer“. Natürlich nicht ohne Ermahnung „Du hast noch viel zu lernen“.
EXIF-Informationen
Was mich aber immer wieder erstaunt, ist die Tatsache, dass EXIF-Informationen – so sie denn einem veröffentlichten Bild beigefügt sind – auch gelesen, nein, studiert und kommentiert werden. „Ich sehe, Du hast mit Blende 22 fotografiert. Wäre Blende 11 nicht besser gewesen ?“ In dem Bild konnten von mir keine Beugungsunschärfen ausgemacht werden. Es ist also bei Weitem nicht egal, mit welcher Blende fotografiert wird. Das Ergebnis – nämlich das Bild und insbesondere seine Bildaussage – scheint dabei nicht wichtig zu sein, es scheint wichtiger zu sein, dass mit einer der optischen Maximalleistung des Objektives (auch aus den Exif-Daten ermittelt) angemessenen Blende fotografiert wird. Oder „Du hast alles mit Blendenpriorität fotografiert. Der manuelle Modus wäre sicherlich besser gewesen, um…“ Jetzt mal ganz ehrlich: ist das (Bild)Ergebnis so unwichtig, dass das verwendete Automatik-Programm diskutiert werden muss ? Ändert die Wahl des Automatik-Programms irgendetwas am Motiv, an der Umsetzung der Idee oder an der Bildaussage ? Wäre das wirklich so wichtig, um es zu diskutieren ?
Deshalb…
…diskutiert bitte nicht die Technik und die EXIF-Daten. Diskutiert den Bildinhalt. Diskutiert die Bildaussage. Und die Amsel ? Na, ja…
Update
(CB) Wie recht ich damit hatte, konnte ich ja nicht ahnen. Für mich stellt sich ein Bild zunächst als Bild vor. Ich nehme das Bild erst einmal visuell wahr. Zu diesem Zeitpunkt interessiert mich der „Datensatz“ und die „technische Perfektion“ noch überhaupt nicht. Spricht das Bild visuell meine Emotionen an ? Oder ist es nur einfach ein Bild ? Ich hätte lieber formal-technisch an ein letztens gesehenes Bild herangehen sollen. „Guter Schnitt, brilliante Schärfe, wunderschönes Bokeh, aber warum mit Blende 2,87564345291 ?“. Das ist ein akzeptabler Kommentar. Oder: „Du hättest das Motiv ein wenig mehr aus der Mitte nehmen sollen, die Drittel-Regel ist hier besonders wichtig.“ Das wäre auch ein akzeptabler Kommentar.
Wann werde ich das endlich lernen ? Wann werde ich endlich lernen, dass der Bildinhalt bzw. die Aussage des Bildes völlig unwichtig ist, solange die erwarteten formal-technischen Ansprüche durch das Bild vollständig erfüllt sind ? Gesellschaftskritische Töne in einem Kommentar zu einem Bild ? Absolutes No Go…
BTW: Dieses Update enthält nicht nur Spuren von Zynismus, Sarkasmus und Ironie…