Die Flut der neuen Bildbearbeitung-Programme

(CB, Schreibanlass) Früher war alles ganz einfach. Da gab es nur wenige Bildbearbeitungsprogramme und die waren sehr teuer und für Spezialisten. Doch immer mehr Amateure begannen, sich diese professionellen Bildbearbeitungsprogramme zu „besorgen“ und damit zu arbeiten. Die Hersteller reagierten mit ganz unterschiedlichen Maßnahmen darauf – bezahlbare „Express“- oder „Light“-Versionen waren eine Variante, „Home & Student“-Editionen eine andere. Inzwischen funktioniert das bei den „alteingesessenen“ Anbietern eher über Paketmodelle zur Miete.

Doch zu den „alteingesessenen“ Herstellern gesellen sich seit ein paar Jahren immer wieder neue Anbieter – z.T. neue „alte“ Anbieter mit Nischenprodukten – die durch Marketing-Aussagen wie „neu“, „verbesserte Algorithmen“, „schneller“, „künstliche Intelligenz“ versuchen, ihre Produkte auf dem Markt der Bildbearbeitungsprogramme zu platzieren. Ganze „Suiten“ sind auf diese Weise neu auf den Markt gekommen und buhlen um die Gunst der Anwender. Und insbesondere versuchen sie es über den Weg der scheinbaren „Geldbeutelschonung“ – die Programme werden z.T. für unter 100 Euro angeboten. Dabei werben manche auch noch mit „kostenfreien“ Updates bis zum Sankt-Nimmerleinstag. Nur, wenn man alle Programme des Herstellers braucht, weil Programm A nur das eine kann, Programm B nur das andere kann und Programm C eben nur jenes kann, dann muss man halt zehn Mal knapp unter hundert Euro ausgeben…

 

Was ist davon zu halten ?

 

Grundsätzlich ist es erst einmal gut, dass eine gewisse „Bewegung“ im Markt zu beobachten ist, da Wettbewerb („Konkurrenz“) einerseits das Geschäft belebt, andererseits aber auch Alternativen zu den „althergebrachten“ Programmen zu finden sind. Dazu kommt, dass die Programme alle irgendwie gleich funktionieren – große Unterschiede konnte ich bisher noch nicht entdecken (auch wenn das Marketing dies zu jedem Programm großspurig verspricht). „Schneller“ ist auch so eine relative Aussage, die vom Endanwender auch kaum geprüft werden kann. Die „Geschwindigkeit“ von Software ist von so vielen Parametern abhängig und zudem fehlt oft auch die Möglichkeit des Vergleiches…

Für mich kommt hinzu, dass ich hinsichtlich der Bildbearbeitung eher den Arbeitsablauf – neudeutsch „Workflow“ genannt – im Auge habe. Für mich steht vor dem Namen des Programms oder vor seiner Technologie vielmehr im Fokus meines Interesses, wie gut ich mit der Bedienoberfläche zurecht komme und wie schnell ich auch eine größere Anzahl von Bildern bearbeiten kann.

Nichts finde ich unangenehmer, als „Brüche“ in meinem Workflow hinnehmen zu müssen. Insbesondere kann ich es nicht leiden, wenn ich Bearbeitungsschritt A in Programm A, Bearbeitungsschritt B in Programm B und Bearbeitungsschritt C in Programm C machen müsste. Und zum Abschluss die Bilder noch in Programm D bearbeiten. Kommen die Programme dann auch noch alle von unterschiedlichen Anbietern, kocht auch jeder Anbieter noch sein eigenes „Dateiformatsüppchen“ und kompatibel ist da gar nichts mehr. Irgendwo in der Schrittkette des Workflows bleibt dann nur noch das JPG-Format als kleinster gemeinsamer Nenner übrig. Das ist unbefriedigend…

Daher ziehe ich „integrierte“ Programme vor, die meinen Arbeitsablauf unterstützen – von der Sichtung des Bildmaterials über die RAW-Bearbeitung bis hin zum finalen Export. Ebenfalls begrüße ich Funktionen wie HDR- und Panorama-Funktion. Und natürlich liebe ich „Presets“, die mir Routine-Arbeiten wie Schärfen, Entrauschen, Weißabgleich usw. abnehmen – ich habe mir für meinen Workflow inzwischen eine stattliche Anzahl an Presets für die unterschiedlichsten Bildsituationen „gebastelt“, die meine Vorstellungen in Bildbearbeitung umsetzen – auf Mausklick…

 

Der Nachteil der integrierten Programme

 

Integrierte Programme sind komplex. Sie vereinen eben auch viele Funktionen unter einer Oberfläche. Man muss sich damit auseinandersetzen. Eigentlich kein Problem, gibt es doch viel Literatur oder inzwischen auch viel (kostenfrei zugängliches) Videomaterial. Ja, es braucht eben auch seine Zeit, um sich in ein komplexes Programm einzuarbeiten, seine Regler und Möglichkeiten zu verstehen und um sich seinen eigenen Workflow damit aufzubauen. Ich finde, diese Mühe wird belohnt, wenn man irgendwann merkt, dass man eine Vielzahl von Bildern in kürzester Zeit bearbeitet bekommt. Und ja, dann gibt es auch immer noch die Bilder, die man selbst ganz individuell entwickeln bzw. bearbeiten möchte – dann kommt einem die Erfahrung im Umgang mit einem komplexen Programm sehr entgegen.

Doch offensichtlich möchten viele Anwender viele Programme auf ihrem Rechner installieren – viele Programme werden offensichtlich mit hoher Kompetenz gleichgesetzt. Obwohl die vielen Programme dann auch nur im „Automatik-Modus“ genutzt werden – natürlich verbunden mit der Aussage, dass die künstliche „Intelligenz“ des Programms so gut sei, dass ein manuelles Eingreifen überhaupt nicht nötig sei. Nee, anders herum betrachtet wird ein Schuh aus der Sache: manuelle Eingriffe erfordern das Wissen über die Funktionsweise der Regler! Und wenn ich das erworben habe (Literatur oder Videotutorials), kann ich das auch in einem integrierten Programm anwenden und brauche kein „Spezialprogramm“, kein „Plugin“ oder Ähnliches. Aber wenn ich mich damit eben nicht beschäftigen will, weil mir zu komplex…

 

Immer die neueste Technologie…

 

… brauche ich für meine Bildbearbeitung auch nicht. Bisher habe ich noch nicht feststellen können, dass mir die vielgepriesene „künstliche Intelligenz“ in irgend einer Form weiterhelfen konnte. Klar, Standard-Situationen werden damit gemeistert, vielleicht sogar „schneller“ und „zeitsparender“. Das Nachdenken über die Art der Bildbearbeitung, die Entscheidung über den „Style“ oder den „Look“ hat mir „künstliche Intelligenz“ noch nie abgenommen – und wenn doch, dann war’s „durchschnittlich“. Für durchschnittliche Bearbeitungen sind automatisierte Algorithmen als Unterstützung sicherlich hilfreich, für eine gezielte, die Bildaussage stützende Bearbeitung sind sie nach wie vor – na, ja – mäßig geeignet. Eben weil die „künstliche Intelligenz“ keine Ahnung vom Bildinhalt und seiner Interpretation bzw. der von mir gewünschten Ausdrucksweise hat. Eine Maschine hat keine Emotionen und versteht keine Emotionen. Aber das versteht nicht jeder und glaubt auch nicht jeder…