(CB) … Vertrauen in digitale Bilder ? Ich muss zugeben, dass mein Vertrauen in digitale Bilder immer geringer wird. Ist das, was ich dort sehe tatsächlich das in einem Sekundenbruchteil aufgezeichnete Abbild der Wirklichkeit ? Oder ist das, was ich sehe, das Ergebnis einer digitalen Bildbearbeitung, bei der auf Mausklick in Sekundenbruchteilen eine „künstliche Intelligenz“ das aufgezeichnete Abbild der Wirklichkeit an die Vorstellung der Fotografin oder des Fotografen angepasst hat ? Ist das, was ich sehe, vielleicht – neudeutsch – ein Fake ?
Nicht, dass Fotografinnen und Fotografen zu analogen Zeiten ihre Bilder nicht manipuliert hätten – es war nur schlicht wesentlich aufwändiger, in der Dunkelkammer so zu tricksen, wie es heute per Mausklick in Millisekunden geschieht. Zu analogen Zeiten musste man schon eine Könnerin bzw. ein Könner in der Dunkelkammer sein…
Ohne „künstliche Intelligenz“ heute kein Marketing mehr…
Tatsächlich ist es spannend, wie schnell die Hersteller von Bildbearbeitungsprogrammen „künstliche Intelligenz“ in ihre Produkte „eingebaut“ haben – bis auf wenige Ausnahmen dürften mittlerweile alle auf dem Markt befindlichen Programme etwas in der Art in sich tragen.
Dabei: so „neu“ ist diese „künstliche Intelligenz“ nicht – aber die Rechenleistung der Computer wurde stark verbessert, so dass heute Berechnungen mit „normalen“ PCs durchgeführt werden können, die zu den Zeiten, als „künstliche Intelligenz“ in ihren Grundzügen entwickelt wurde, nur Großrechneranlagen bewältigen konnten.
Ich unterscheide zwei Arten von „künstlicher Intelligenz“, die meines Erachtens aktuell in den Bildbearbeitungsprogrammen zu finden ist. Zum einen ist da die „Gestaltungserkennung“, mit der der automatisierte Versuch unternommen werden soll, verschiedene Bildteile voneinander zu trennen – z.B. Motiv, Himmel, Vordergrund und Hintergrund, damit diese später getrennt (automatisiert) bearbeitet werden können. Zum anderen ist da eine „Mustererkennung“ vorhanden, mit der der automatisierte Versuch unternommen wird, Bildinhalte – z.B. Personen, Fahrzeuge usw. – von den Gestaltungselementen zu unterscheiden, um auch diese einer (automatisierten) Bearbeitung unterziehen zu können, ohne andere Bildinhalte oder Gestaltungselemente zu beeinflussen.
Im Grunde stellt die „künstliche Intelligenz“ dabei eine Art automatisierte Maskierung dar: zuvor musste die Bildbearbeiterin oder der Bildbearbeiter mit eigener Intelligenz die Trennung der Gestaltungselemente und der Bildinhalte bewerkstelligen – ein Vorgang, den das menschliche Gehirn ohne große Anstrengung im Sekundenbruchteilen zu leisten vermag – um dann in aufwändiger Handarbeit entsprechende Bildteile zu maskieren, um sie einerseits separat bearbeiten zu können und andererseits vor der Bearbeitung anderer Bildteile abzukoppeln.
Durch Rekursion zum Einheitsbrei…
Das menschliche Gehirn baut lebenslang Wissen und Erfahrung auf – allgemein als „Lernen“ verstanden. Ein Prozess, der im Grunde unbewusst abläuft und die wahre Flexibilität des menschlichen Gehirns darstellt. „Künstliche Intelligenz“ dagegen „lernt“ nicht unbewusst – es muss vielmehr ein Algorithmus her, der einer „künstlichen Intelligenz“ die zur automatisierten Entscheidungsfindung erforderlichen Informationen bereitstellt und – idealer Weise – diesen „Informationspool“ beständig vergrößert. Ich vermute, dass es gar nicht so leicht ist, automatisiert Informationen zu erfassen, zu strukturieren, zu kategorisieren, zu bewerten und damit zu ermöglichen, sie durch einen Algorithmus – durch „künstliche Intelligenz“ – situationsgebunden im richtigen Kontext anzuwenden.
Im Bereich der Bildbearbeitung wird die „künstliche Intelligenz“ durch die Auswertung tausender Bilder „trainiert“, d.h. die Bilder werden strukturiert („Person“, „Landschaft“, „Gebäude“…), kategorisiert („Frau“, „Mann“, „Strand“, „Wald“, „Fachwerkhaus“, „Hochhaus“…), bewertet („schön“, „nicht schön“, „interessant“, „uninteressant“…), um dann automatisiert angewendet zu werden.
Ich sehe dabei insbesondere bei der Bewertung Probleme: wer entscheidet eigentlich, was der „künstlichen Intelligenz“ als „schön“ oder „nicht schön“ trainiert wird ? Etwa die „künstliche Intelligenz“ – ein Algorithmus – selbst ? Man könnte beispielsweise die Anzahl von Aufrufen eines Bildes in einer Bilddatenbank als Kriterium benutzen: „schön“ gleich „große Anzahl an Aufrufen“, „nicht schön“ gleich geringe Anzahl von Aufrufen in der Bilddatenbank.
Letztlich wird die „künstliche Intelligenz“ später anhand der automatisierten Bildanalyse der Bildbearbeiterin oder dem Bildbearbeiter einen Vorschlag machen, wie das Bild aussehen könnte, wenn die Möglichkeiten des Bildbearbeitungsprogramms durch die „künstliche Intelligenz“ bedient werden.
Zu einem „rekursiven Einheitsbrei“ kommt es dann, wenn die Vorschläge der „künstlichen Intelligenz“ von einer Bildbearbeiterin oder einem Bildbearbeiter unreflektiert als „schön“ und „gut“ bewertet werden und durch Veröffentlichung – in welcher Form auch immer – letztlich wieder dem „Informationspool“ der „künstlichen Intelligenz“ zugeführt werden. Der Prozess ist sicher verzögert, aber ich gehe davon aus, dass irgendwann automatisiert bearbeitete und von Menschen als „schön“ bewertete Bilder in den „Informationspool“ der „künstlichen Intelligenzen“ einwandern ohne zu beachten, dass genau diese Bilder bereits das Ergebnis eines automatisierten „Bildoptimierungsprozesses“ sind.
Die Gefahr dieser „Rekursion“ liegt darin, dass dadurch die Algorithmen der „künstlichen Intelligenz“ einseitig „geschärft“ werden, d.h. dass die Bilder verschiedenster Fotografinnen und Fotografen bei Anwendung „künstlicher Intelligenz“ trotz unterschiedlichstem Wissen, Können, unterschiedlichster Erfahrungen, Sicht- und Herangehensweisen der Fotografinnen und Fotografen irgendwann immer ähnlicher werden.
Bilder „pimpen“ wird immer einfacher…
Das Ziel des Einsatzes „künstlicher Intelligenz“ bei der Bildbearbeitung ist ja, die Bildbearbeitung für die Anwenderin und den Anwender so einfach und bequem wie möglich zu machen. Bildbearbeitungstechniken, die zuvor ausgebildeten Fachleuten zur Verfügung standen, stehen plötzlich einem breiten Publikum zur Verfügung. Und auch in dieser massenhaften Verbreitung einfacher und bequemer Bildbearbeitung liegt eine Gefahr, tatsächlich zu immer ähnlicher werdenden Bildern zu kommen: genau weil der Mensch bequem ist.
Es werden noch einige Jahre Entwicklungsarbeit notwendig sein, aber – seit ich den Markt der Bildbearbeitungsprogramme verfolge – sind die Möglichkeiten des Einsatzes „künstlicher Intelligenz“ immer größer geworden, die automatisiert erzeugten Bearbeitungsvorschläge immer überzeugender und die Handhabung der Programme immer einfacher geworden. Dazu kommt, dass der „letzte Schliff“ der Bildbearbeitung über tausende von sog. „Presets“ erfolgen kann. Ich gehe davon aus, dass die Programme in absehbarer Zeit für jedes eingegebene Bild der Bearbeiterin oder dem Bearbeiter einen „professionellen“ Vorschlag der Bearbeitung unterbreiten können. Ein Mausklick und das Ursprungsbild ist vollständig bearbeitet und – optimiert. Und je besser, je technisch ausgefeilter eine automatisierte Bearbeitung wird – das Ziel ist ja, dass die Bearbeitung als solche technisch und forensisch gar nicht mehr erkennbar ist – desto größer wird der Faktor „menschliche Bequemlichkeit“ werden. Denn wozu sollte sich eine Bearbeiterin oder ein Bearbeiter dann noch die Zeit nehmen und eine individuelle, bildspezifische Bearbeitung durchführen, wenn eine automatische, technisch perfekte und nicht erkennbare Bearbeitung möglich ist ? Noch dazu, wenn aus mäßigen Bildern mäßiger Fotografinnen und Fotografen „Meisterwerke“ automatisch und künstlich erzeugt werden. Es bleibt also tatsächlich zu befürchten, dass immer mehr durch „künstliche Intelligenz“ automatisiert bearbeitete Bilder „auf den Markt“ kommen und damit in den „Informationspool“ der „künstlichen Intelligenzen“ als Trainingsmaterial gelangen. Ein wenig gruselt es mich schon, wenn man den Gedanken konsequent weiterdenkt – irgendwann in absehbarer Zukunft wandert die „künstliche Intelligenz“ direkt in die Kamera-Software hinein, eine nachgelagerte Bildbearbeitung am PC könnte dann komplett unnötig gemacht werden, die Bildbearbeitung findet gleich bei der Aufnahme statt. Und wenn dann die Kameras per Funktechnik permanent mit dem Internet verbunden sind, ihren Standort und das Motiv an leistungsstarke Rechenzentren melden und automatisiert der Fotografin oder dem Fotografen im Sucher das Ergebnis einer Bearbeitung statt der Realität anzeigen…
Die „künstliche Intelligenz“ lässt mein Vertrauen in Bilder schwinden
Bildbearbeitung ist einfach geworden. Und seit „künstliche Intelligenz“ Einzug in die Bildbearbeitung gehalten hat, ist nicht nur die Bildbearbeitung, sondern auch die Bildmanipulation einfach geworden. Mal eben den tristen grauen Himmel gegen einen strahlend blauen Himmel austauschen und die Belichtung und die Beleuchtung des Bildes gleich mitanpassen – dank „künstlicher Intelligenz“ kein Problem und in Sekundenschnelle erledigt. Ich denke, dass die Technologie und die Technik dann auch recht schnell soweit entwickelt wird, dass auch das eigentliche Motiv bearbeitet – im Sinne von „manipuliert“ – werden kann. Die ersten Ansätze sind gemacht und in den Bildbearbeitungsprogrammen schon enthalten. Darüber hinaus werden sich sicherlich findige Menschen „Work-arounds“ ausdenken, um das Vorhandene für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Ausführliche Anleitungen dazu werden in den üblichen Social Media-Kanälen veröffentlicht werden…
Und auch das lässt mein Vertrauen in das, was ich in einem Bild sehe, schwinden. Ich weiß nicht mehr, ob ich tatsächlich einen bearbeiteten Ausschnitt der Realität sehe oder ob ich einen manipulierten Ausschnitt der Realität sehe.
Wenn mir ein Bild gefiel, habe ich eigentlich nur sehr selten in die EXIF- bzw. in die IPTC-Daten gesehen – mich hat eigentlich immer mehr der Bildinhalt und die Bildaussage interessiert. Und die handwerkliche Umsetzung der Idee – Lichtsetzung, Lichtführung…
Der zunehmende Einsatz „künstlicher Intelligenz“ bringt mich aber immer öfter dazu, dass ich mir die EXIF-Daten dann doch ansehe: in ihnen wird in der Regel mindestens ein Hinweis auf das verwendete Bildbearbeitungsprogramm gegeben. Natürlich lassen sich EXIF-Dateien entfernen – dann habe ich Pech gehabt – oder manipulieren – dann war die Bearbeiterin oder der Bearbeiter doch nicht so bequem, wie angenommen. Meistens aber sind die Bearbeiterin oder der Bearbeiter zuverlässig bequem. Und wenn ich dann dort einen der „usual suspects“ genannt bekomme, kann ich dem Bild nicht mehr vertrauen.