(CB) Wenn man einen Eindruck davon haben möchte, wie einst das Ruhrgebiet aussah und wie die Schwerindustrie den Takt des Ruhrgebietes vorgab, sollte man einen Ausflug nach Duisburg machen. Nein, nicht um den Duisburger Hafen zu besichtigen – zu Corona-Zeiten ohnehin kaum möglich – sondern um in Duisburg Bruckhausen und Marxloh rund um den Alsumer Berg die letzten noch aktiven Hütten- und Stahlwerke und eine der drei verbliebenen aktiven Kokereien im Ruhrgebiet anzusehen.
Strukturwandel
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Ruhrgebiet völlig gewandelt. Die Zeit der Schwerindustrie im Ruhrgebiet ist vorbei. Im Dezember 2018 wurde in Bottrop mit der Schließung der Zeche Prosper-Haniel die Steinkohle-Förderung im Ruhrgebiet endgültig beendet. Nicht anders erging es den zahlreichen Hüttenwerken, den Stahlwerken, den Walzwerken und den Kokereien. Die meisten dieser gewaltigen Industrieanlagen wurden abgerissen – zurückgebaut – die Flächen neuen Verwendungen zugeführt. Strukturwandel im Ruhrgebiet – von der Industrieregion zur Dienstleistungsregion. Aber ein Rest Schwerindustrie hat in Duisburg „überlebt“ und produziert auch heute noch Koks, Roheisen und Stahl.
Über die Umweltauswirkungen der Industrieabgase hat vor und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg niemand wirklich nachgedacht. In den Wirtschaftswunderjahren der noch jungen Bundesrepublik waren rauchende, qualmende Schlote im Ruhrgebiet ein Zeichen des zunehmenden Wohlstandes der Menschen. Dazu kam auch, dass immer mehr Menschen sich ein eigenes Auto leisten konnten – von CO2 und Klimawandel sprach damals in den 1950er, den 1960er und den 1970er Jahren noch niemand. Es war „normal“, dass die Luft im Ruhrgebiet mancherorts so staubig war, dass man keine Wäsche im Freien trocknen konnte, ohne dass sie „von selbst“ verschmutzte. Das Ruhrgebiet hatte seinerzeit auch nicht unbedingt den besten Ruf und die sauberste Luft…
Viele Faktoren führten aber schon gegen Ende der 1950er Jahre – Stichwort: Kohlekrise – zum Beginn eines Umdenkens. Der Import von Rohstoffen war plötzlich billiger geworden, als die heimische Förderung – eine Entwicklung, die bis heute anhält. Der erste Schritt des Strukturwandels wurde mit dem „Entwicklungsprogramm Ruhr 1968 – 1973“ durch die Landesregierung Nordrhein-Westfalens eingeleitet. Damit wurde die Umgestaltung des Ruhrgebietes von der Industrieregion zur Bildungs- und Dienstleistungsregion gestartet. Universitäten werden in den 1960er und 1970er Jahren gegründet und das Ruhrgebiet zu einem vielschichtigen Forschungsstandort.
Etwas bleibt aber zurück
Trotz des Strukturwandels ist das Ruhrgebiet immer noch einer der größten Ballungsräume in Europa. Zudem hat man im Ruhrgebiet einige der alten Industrieanlagen als Kulturgüter einer vergangenen Epoche „zurückbehalten“ und hält damit die Erinnerung an das frühere Ruhrgebiet aufrecht. „Industriekultur“ – stillgelegte Hüttenwerke (z.B. der Landschaftspark Duisburg Nord, die Henrichshütte in Hattingen oder Phönix-West in Dortmund) oder stillgelegte Zechen (z.B. Zeche Zollverein in Essen, die Zeche Nachtigall in Hattingen oder die Zeche Zollern in Dortmund) sowie einige stillgelegte Kokereien (z.B. die Kokerei Zollverein in Essen oder die Kokerei Hansa in Dortmund) bleiben als „Industriedenkmäler“ erhalten. Neben dem Erhalt als Industriedenkmale beherbergen die ehemaligen Industrieanlagen heute Museen, Ausstellungs- und Veranstaltungsräume aber auch Sport- und Freizeitbereiche und sind fester Bestandteil der Kultur des Ruhrgebietes geblieben.
Faszination
Trotzdem bin ich von der Schwerindustrie fasziniert – was sicher nicht jedem „FFF“-Anhänger gefallen dürfte. Industrie-Unternehmen bieten immer noch vielen Menschen Arbeit und damit Existenz. Und – was mich immer besonders fasziniert – in den zahlreichen Industrie-Unternehmen wird „etwas“ hergestellt. Diese Industriegüter kann man anfassen (nicht unbedingt anheben) und sie bilden ihrerseits wieder die Grundlage für viele verarbeitende Unternehmen.
Aber es gibt da noch etwas, was für mich „Industrie“ ausmacht: dort arbeiten Menschen, die die komplexen Prozesse verstehen, sie steuern und letztlich dafür sorgen, dass am Ende des Prozesses Güter hergestellt worden sind, die anderweitig nutzbringende Verwendung finden. Ein banales Beispiel: die Beine meines Schreibtisches sind Vierkantrohre aus Stahl. Ich weiß nicht, wo das Eisenerz für diese Vierkantrohre gewonnen wurde, ich weiß auch nicht, wo es zu Roheisen verhüttet wurde und ich weiß auch nicht, wo das Roheisen zu Stahl veredelt und wo der Stahl zu Vierkantrohren geformt wurde. Aber ich weiß, dass viele Menschen dafür gearbeitet haben. Hart gearbeitet haben – hoffentlich mindestens nach ILO-Standards. Und sie haben dabei auch gefährliche Arbeiten verrichtet. Schließlich ist die Arbeit in Erzminen, in Hüttenwerken, in Stahlwerken und in vielen anderen Betrieben nicht ungefährlich.
In den stillgelegten Industrieanlagen des Ruhrgebietes kann man lernen, wie die Arbeit ablief und vielerorts auch wer sie gemacht hat. Und man bekommt einen Einblick, wie komplex industrielle Prozesse sind.
Noch deutlicher wird die Komplexität, wenn man die aktiven, modernen Anlagen sieht. Klar, aus Sicherheitsgründen öffnen sich Werkstore für Besucher nur selten, aber schon aus der nahen Ferne kann man über oder durch den Werkszaun sehen, wie komplex moderne Industrieanlagen sind.
Und diese Komplexität muss beherrscht werden. Sicher beherrscht werden. Da sind Menschen beschäftigt, die solche Anlagen planen, Menschen, die sie errichten, Menschen, die sie pflegen, Menschen, die sie bedienen – und Menschen, die das alles bewundern.
Industrie als Fotomotiv
Letztlich ist es das, was mich an Industrieanlagen fasziniert und warum ich sie gerne fotografiere. Denn um die Komplexität von Anlagen und Prozessen beherrschen zu können, ist Ordnung notwendig – sogar eine strenge Ordnung. Die Ordnungsprinzipien führen dann zu einer ganz eigenen, industrietypischen Ästhetik und macht Industrieanlagen zu Fotomotiven. Immer wenn ich nach einer Fototour zu Industrieanlagen die Bilder betrachte, fallen mir weitere Aspekte und Details auf, die ich noch näher betrachten, verstehen und fotografieren will. Deshalb fahre ich wohl öfter zu den verschiedensten Industrieanlagen – mit einem einzigen Besuch kann man einfach nicht alles gesehen haben. Oh, und nachdem ich die Bilder der letzten beiden Ausflüge in die Duisburger Industrielandschaft betrachtet habe, sind mir noch viele Ideen gekommen, die ich auch noch fotografieren möchte. Ich denke, ich bin am kommenden Wochenende wieder im Ruhrgebiet unterwegs. Fotografieren heißt ja nun zuerst einmal Sehen – und sehen will ich noch Vieles…
Eindrücke vom Wochenende 27./28.02.2021
Oh, und – Faszinosum – ich wurde eingeladen, diese Bilder doch auch noch auf einer anderen Homepage hochzuladen. Ich fühle mich geehrt. Ich denke, ich werde die Einladung annehmen.