Gruppendynamik…

(CB) Menschen sind soziale Wesen. Die soziale Interaktion gehört zum menschlichen Wesen dazu. Die intensivsten Interaktionen zwischen Menschen treten auf, wenn mehrere Menschen zusammenkommen und eine „Gruppe“ bilden. Gruppen sind dabei als soziale Gebilde zu verstehen, die aus mehreren Mitgliedern bestehen, welche über einen längeren Zeitraum gemeinsame Ziele verfolgen, dazu in kontinuierlichen Kommunikations- und Interaktionsverbindungen stehen und gruppenspezifische Rollen, Normen und Werte ausbilden.

Eine unglaublich wichtige Gruppe für (fast) jedes Individuum ist die Familie, die als primäre Gruppe insbesondere durch gegenseitige Vertrautheit und gegenseitiges Vertrauen der Mitglieder untereinander gekennzeichnet ist.

Weniger vertraut, weniger vertraulich und weniger persönlich sind dagegen sekundäre Gruppen, die zwar auch durch soziale Kommunikation und Interaktion charakterisiert werden, insgesamt aber abstrakter bleiben. Dazu zählen beispielsweise Gruppen, die innerhalb von Organisationen aber außerhalb der Familie gebildet werden (müssen). Die sekundären Gruppen können noch hinsichtlich eines etwaigen pflichtigen Charakters – beispielsweise in beruflicher Hinsicht – und eines freiwilligen Charakters – beispielsweise der Beitritt zu einem Verein etc. – unterschieden werden. Auch „lockere Zusammenschlüsse“ ohne formelle Struktur stellen sekundäre Gruppen dar. Gemeinsam ist aber allen Gruppen eine Rolle im sozialen Gefüge der Gesellschaft.

Während z.B. in Organisationen die offiziellen Gruppen in der Regel in die Organisationsstruktur eingebunden sind, mit vorbestimmten Personen (oft hierarchisch) besetzt werden und durch eine Zweck- und Zieldefinition der Organisation dienen sollen, entstehen informelle Gruppen unabhängig von der Organisationsstruktur und dem Betriebszweck. So finden sich z.B. Personen regelmäßig in der Betriebskantine zum gemeinsamen Essen zusammen, suchen gemeinsam die Raucher-Ecken auf oder sind Anhänger von z.B. Sportvereinen. Diese inoffiziellen Gruppen bleiben in Organisationen oft unsichtbar, können aber doch bedeutungsvolle Rollen innerhalb von Organisationen übernehmen: obwohl eigentlich primär andere Interessen im Vordergrund stehen, vollzieht sich immer auch ein Austausch über die Organisation selbst, der den Gruppenangehörigen bei der Erledigung ihrer offiziellen Aufgaben helfen kann.

Gruppendynamische Prozesse

Nicht selten bilden sich solche inoffiziellen Gruppen auch im privaten Bereich. Oft sogar mit „halboffiziellem“ Charakter: bewusst wird auf die Einrichtung einer offiziellen Struktur – z.B. die Verabschiedung einer Satzung, die Wahl eines Vorstandes, die Eintragung in das Vereinsregister usw. – verzichtet, dennoch tritt die Gruppe in der Öffentlichkeit als „vereinsähnlicher Zusammenschluss“ auf. Überdies übernimmt in der Regel ein Gruppenmitglied dann sogar die Vertretung der Gruppe in der Öffentlichkeit und wird somit zum „Sprecher“ der Gruppe, welcher von außen stehenden Personen ggf. auch als Gruppenleiter angesehen wird. Aber: auch wenn es sich nicht um eine offizielle Gruppe mit formeller Struktur handelt, sind soziologisch gruppendynamische Prozesse zu beobachten. Doch während gerade in Unternehmensorganisationen das Management diese gruppendynamischen Prozesse kennt (bzw. kennen sollte) und versucht (versuchen sollte) diese zu steuern, läuft die Gruppendynamik in inoffiziellen Gruppen eher unbewusst ab, eine aktive Steuerung gruppendynamischer Prozesse findet nicht statt.

Phasen gruppendynamischer Prozesse

Es ist üblich, dass Gruppen verschiedene Phasen durchlaufen, ggf. sogar mehrfach zyklisch. Nach einer Neugründung bzw. einer Neuformierung einer Gruppe durchläuft diese zunächst eine „Findungsphase“ in der – zumeist unbewusst – die Rollen der Gruppenmitglieder „verhandelt“ bzw. „ausgehandelt“ werden. Während dieser Phase stellen die Mitglieder der Gruppe oftmals ihre individuellen Wünsche, Bedürfnisse, Ziele und Erwartungen zurück, um die Gründung oder Neuformierung der Gruppe nicht zu verzögern oder gar zu blockieren. Bei Neugründungen von Gruppen übernehmen oft eine oder wenige Personen (an-)leitende Rollen; diese Personen initiieren oftmals die Gründung einer Gruppe und werden zunächst von allen anderen potentiellen Gruppenmitgliedern in diesen Rollen akzeptiert. Auch dies geschieht zunächst vor dem Hintergrund, die Gründung/Neuformierung der Gruppe nicht zu verzögern oder zu blockieren und stellt eigentlich eher eine Zurückstellung eigener Wünsche, Bedürfnisse, Ziele und Erwartungen dar, als die tatsächliche Akzeptanz der jeweiligen Personen in ihren (an-)leitenden Rollen.

Der „Findungsphase“ schließt sich die „Auseinandersetzungsphase“ an: zwischen der/den (an-)leitenden Person/en und/oder einzelnen Gruppenmitgliedern und/oder auch zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern kommt es nun aufgrund der zunächst zurückgestellten individuellen Wünsche, Bedürfnisse, Ziele und Erwartungen zu Konflikten. Besonders starke Konflikte treten in dieser Phase ggf. dann auf, wenn die individuellen Wünsche, Bedürfnisse, Ziele und Erwartungen der (an-)leitenden Person/en miteinander kollidieren oder sogar im Widerspruch zueinander stehen. In der Regel werden die (an-)leitende/n Person/en versuchen, ihre (an-)leitenden Rollen zu behaupten. Konflikte werden jedoch in der Regel nicht offen ausgetragen, sondern die (an-)leitenden Personen nutzen ihre Rolle jeweils so, dass insgesamt die Mehrheit der Gruppenmitglieder hinter ihnen versammelt bleiben – es kann also in dieser Phase dazu kommen, dass einzelnen Mitgliedern eine „Außenseiterrolle“ zugewiesen wird. Sofern möglich verlassen „Außenseiter“ in dieser Phase die Gruppe, so dass die (an-)leitenden Personen ihre Rollen festigen können und den anderen Gruppenmitgliedern zunächst „Mitläuferrollen“ zugewiesen haben.

Nach Abschluss der „Auseinandersetzungsphase“ tritt die Gruppe in die „Normierungsphase“ ein. Die Gruppenmitglieder legen fest, nach welchen Regeln sie zusammenarbeiten möchten, welche Werte sie gemeinsam vertreten wollen und wie sie sich gegenüber anderen Gruppen abgrenzen werden. Üblicherweise übernimmt nun eine der (an-)leitenden Personen großen Anteil an der internen Regel- und Standardsetzung, andere ehemals (an-)leitenden Personen übernehmen Rollen als Organisatoren. Damit ist die Führungsrolle weitgehend endgültig festgelegt, neben den „Mitläufern“, die sich eher passiv verhalten (werden), hat sich unterhalb der (an-)leitenden Person eine neue Hierarchieebene der „Organisatoren“ gebildet, deren Aktivitäten üblicher Weise mit den Aktivitäten der (an-)leitenden Person abgestimmt werden. Allerdings birgt auch diese Phase der Gruppendynamik ein hohes Konfliktpotential, da die Äußerung abweichender Vorschläge hinsichtlich der Regel- und Standardsetzung erneut zu „Außenseiter“-Zuweisungen führen kann – es kann zum Wiedereintritt der Gruppe in die Auseinandersetzungsphase kommen.

Wurde die „Normierungsphase“ erfolgreich abgeschlossen, kann die Gruppe in die „Leistungsphase“ eintreten: die Gruppe beginnt effektiv zu arbeiten, ihre gemeinsam in der Normierungsphase festgelegten Ziele umzusetzen und zu erreichen. Die innere Organisation hat sich eingespielt, die organisatorischen Handlungen und Entscheidungen werden weniger. Es kann nun dazu kommen, dass die Personen mit „Organisator“-Rolle in die „Mitläufer“-Rolle zurückfallen. Im Extremfall kommt nun der (an-)leitenden Person alleine die Führungs- und die Organisationsrolle zu. Damit hat die (an-)leitenden Person die anspruchsvolle Aufgabe die effektive Gruppenarbeit zur Zielerreichung zu organisieren aber auch die Gruppenmitglieder motivierend anzusprechen, um die Gruppenperformanz über einen möglichst langen Zeitraum zu erhalten. Die (an-)leitende Person benötigt eine hohe Führungskompetenz: sie ist jetzt gefragt, auf die einzelnen Gruppenmitglieder individuell zuzugehen, ihre jeweiligen Qualifikationen herauszuarbeiten, diese an der richtigen Stelle in die Gruppenarbeit einzufügen und sie zu motivieren, ihre Leistungsbereitschaft in den Dienst der Gruppe, der gemeinsamen Ziele und Werte einzusetzen.

Es geht in der Leistungsphase darum, dass die (an-)leitende Person der Gruppe die individuellen Erwartungen der Gruppenmitglieder kennt und diese mit den eigenen und den Erwartungen der anderen Gruppenmitglieder zusammenbringt – interne Konflikte entstehen in der Regel aus unerfüllten oder gar enttäuschten Erwartungen. Zudem muss die (an-)leitende Person auch die Fähigkeit besitzen, Störungen von außerhalb und innerhalb der Gruppe wahrzunehmen und ihnen adäquat entgegenzutreten, damit externe bzw. interne Störungen keine Auswirkungen auf die Effizienz oder die Effektivität der Gruppenarbeit haben. Leider wird die Anfälligkeit einer sich in der Leistungsphase befindlichen Gruppe gegenüber Störungen – auch gegenüber latent vorhandenen internen Konflikten – mit zunehmender Zeit, in der sich die Gruppe in der Leistungsphase befindet, größer und es ist nicht ausgeschlossen, dass selbst geringfügige Störungen im zwischenmenschlichen Umgang der Gruppenmitglieder untereinander (=gruppeninterne Konflikte) oder Zweifel einiger Gruppenmitglieder an der Führungskompetenz der (an-)leitenden Person dazu führen, dass die Gruppe wieder in die Normierungs- oder sogar in die Auseinandersetzungsphase zurückversetzt wird.

Umgang mit Konflikten

Konflikte – insbesondere Konflikte zwischen der (an-)leitenden Person und anderen organisatorisch aktiven Gruppenmitgliedern, die zudem oft auch die Leistungsträger der Gruppenarbeit sind – fordern in der Leistungsphase die volle Aufmerksamkeit der (an-)leitenden Person und müssen zwingend gelöst werden, auch und gerade weil Konflikte von allen Gruppenmitgliedern als „störend“, „bedrohlich“, „schmerzhaft“ oder „destruktiv“ empfunden werden. Die (an-)leitende Person darf nicht erwarten, dass in „ihrer“ Gruppe keine Konflikte auftreten. Da das Auftreten von Konflikten nicht gerne wahrgenommen wird, treten i.d.R. drei „Strategien“ im Umgang mit Konflikten zu Tage:

  1. Vermeidung: Problematische Themen werden vermieden, die sich daraus ergebenden Konflikte werden verdrängt. Dies führt zu latent vorhandenen, von den Gruppenmitgliedern wahrgenommenen Spannungen innerhalb der Gruppe.
  2. Ausschluss: Gruppenmitglieder, die andere Ansichten vertreten oder ein als „störend“ empfundenes Verhalten zeigen, werden ausgeschlossen (die Gruppe befindet sich dann zwangsläufig wieder in der Auseinandersetzungsphase und versucht, diese möglichst schnell wieder zu überwinden, wobei das Mittel des „Ausschlusses“ als das am einfachsten umsetzbare Mittel erscheint).
  3. Unterdrückung: die Gruppe entscheidet über Konflikte nach dem Mehrheitsprinzip und Gruppenmitglieder, die andere Ansichten vertreten, werden auf irgendeine Art und Weise zum Schweigen gebracht (auch in diesem Falle befindet sich die Gruppe erneut in der Auseinandersetzungsphase und sucht eine Möglichkeit, schnellstmöglich – „demokratisch“ – in die Leistungsphase zurück zu gelangen).

In einer Konfliktsituation kommt es auf die Fähigkeit der (an-)leitenden Person an, einen Konflikt frühzeitig zu erkennen: erste Anzeichen für einen Konflikt sind oft ein diffuses Gefühl von Spannungen und Unzufriedenheit. Es obliegt nun der (an-)leitenden Person, diese Symptome aufzunehmen und eine Konfliktbewältigung strategisch anzugehen. Findet keine aktive Konfliktbewältigung statt, fällt eine Gruppe nahezu zwangsläufig in die Auseinandersetzungsphase zurück. Allerdings kann diese Auseinandersetzungsphase eher „still“ und über einen langen Zeitraum laufen: da Konflikte Energien und Kräfte aller Gruppenmitglieder zehren, werden Konflikte nicht selten „eingefroren“ und die Gruppe tritt in eine „verminderte Leistungsphase“ ein. Insbesondere dann, wenn „Ausschluss“ oder „Unterdrückung“ durch die (an-)leitende Person als regelmäßige „Konfliktbewältigungsstrategie“ – meist unbewusst durch konkludentes (Führungs-)Verhalten – festgelegt werden, kann davon ausgegangen werden, dass eine zunehmende Anzahl von Gruppenmitgliedern ihr Engagement für die Gruppe (zunehmend) reduziert und in einer Art „konsumierender“ Haltung vom Engagement anderer profitiert. Die kollektive Wirksamkeit der Gruppe hinsichtlich der Arbeitsergebnisse vermindert sich konstant und ggf. dramatisch.

Befindet sich eine Gruppe über einen längeren Zeitraum oder möglicherweise sogar dauerhaft in einer solchen, von verdeckten – ggf. unerkannten – Spannungen charakterisierten Phase, kommt es auch auf Seiten der (an-)leitenden Person zu Frustrationen: trotz großem eigenen Engagement für die Gruppe, trotz der Übernahme eigentlich auf andere Gruppenmitglieder delegierter Aufgaben und trotz regelmäßiger Aufforderungen zu aktiver Gruppenarbeit erreicht die (an-)leitende Person keinen Anstieg der Gruppenleistung.

Es ist nicht ungewöhnlich, wenn die (an-)leitende Person aufgrund ihrer eigenen Frustration – welche nicht selten als persönliches Scheitern empfunden wird – durch negative Formulierungen der eigenen Wünsche nach mehr Teilnahme an der Gruppenarbeit immer weniger motivierend auf die anderen Gruppenmitglieder wirkt. Insbesondere Formulierungen wie „Es wäre schön, wenn…“, „Es haben sich wieder nur wenige Personen an der Aktion beteiligt…“ oder „Ich habe keine Lust mehr zu organisieren, dass…“ verstärken das Problem eher, als dass sie es lösen. In einer solchen Phase zeigt sich die persönliche Führungsqualität der (an-)leitenden Person: sie ist nun als persönlicher Motivator gefragt, der die einzelnen Gruppenmitglieder – insbesondere die Passivsten unter ihnen – individuell anspricht, sich nach Wünschen und Erwartungen erkundigt und die individuellen Fähigkeiten der jeweiligen Gruppenmitglieder herausstellt. Vor allem offene Fragen ohne Vorgaben oder Einschränkungen sind jetzt hilfreich, um die Hemmnisse der einzelnen Gruppenmitglieder kennenzulernen. Die (an-)leitende Person muss sich aber auch darüber im Klaren sein, wie sie selbst mit Kritik an ihrem eigenen Vorgehen und Verhalten umgehen wird: ist sie bereit, (Führungs-)Fehler zu erkennen und daraus zu lernen oder zieht sie sich auf die Position „Mach‘ es doch selbst besser!“ zurück. Vor allem letztere Position ist zwar bequem, wird aber der Führungsrolle der (an-)leitenden Person nicht gerecht: wer selbst beständig Standards vorgegeben [und auf ihre Einhaltung bestanden] hat – „Weil es ja kein anderer [richtig] gemacht hat!“ – übersieht schnell, dass anderen unter Umständen gar nicht die Chance eingeräumt wurde, etwas „anders“, „selbst“ oder „in eigener Verantwortung“ zu gestalten.

Ein immer wieder gemachter (Führungs-)Fehler ist, Kritik an den Handlungen und Ergebnissen anderer Gruppenmitglieder stets mit Sätzen wie „Ich hätte das aber so und so gemacht!“ oder „Dann wäre das Ergebnis noch viel besser geworden!“ zu formulieren – so bewirkt die (an-)leitende Person, dass außer ihr keiner mehr von den festgesetzten Standards abweichende Handlungen vornimmt oder Gruppenarbeit organisiert.

Dazu kommt oft noch die frustrierende Gewissheit, dass die mit großem eigenen Engagement aufgebaute Gruppe zerfällt, wenn die (an-)leitende Person das eigene Engagement für die Gruppe (weiter) reduziert. Gelangt die (an-)leitende Person zu dieser Erkenntnis, ist es für die Rettung der Gruppe im Grunde schon zu spät. Es sei denn, die (an-)leitende Person kann durch eine andere Person abgelöst werden, die der Gruppe neue Impulse geben kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die übrigen Gruppenmitglieder eine neue (an-)leitende Person akzeptieren. Falls die (an-)leitende Person jedoch die eigene Stellung so ausgebaut hat, dass es kein anderes Gruppenmitglied gibt, welches die Leitung der Gruppe überhaupt übernehmen könnte, scheitert auch dieser Weg. Zieht sich die (an-)leitende Person in dieser schwierigen Phase auch noch aus ihrer Führungsrolle zurück, beginnt die „Beendigungsphase“ der Gruppe. Aufgrund bestehender und geübter Gruppen“rituale“ kann sich diese Phase über einen sehr langen Zeitraum hinziehen – erkennbar an der zumeist sehr geringen Performanz der Gruppe und der immer geringer werdenden Anzahl aktiver Gruppenmitglieder.