Digitalisierung von Schulen – Teil 1: Der Corona-Lockdown als Indikator für Versäumnisse

(CB) Mitte Januar 2021 befindet sich Deutschland im zweiten coronabedingten Lockdown. Das öffentliche Leben ist – als eine Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie – weitgehend zum Stillstand gekommen. Geschäfte – bis auf Lebensmittelgeschäfte – sind geschlossen. Veranstaltungen sind abgesagt. Die Gastronomie ist geschlossen. Soziale Kontakte sind eingeschränkt. Und – obwohl man es lange nicht machen wollte – die Schulen sind nach den Weihnachtsferien 2020/2021 nicht wieder für den Präsenzunterricht geöffnet worden. Die Schülerinnen und Schüler bleiben zu Hause und werden zu Hause auf Distanz unterrichtet. Und dies führt zu Problemen.

Schon im März/April 2020 blieben die Schulen zunächst geschlossen – unterrichtet wurde auf Distanz. Nach den Sommerferien startete dann wieder der Präsenzunterricht, auch wenn vielen Lehrerinnen und Lehrern, Eltern, Schülerinnen und Schülern nicht recht wohl dabei war. Der Ausbreitung der Pandemie in, an und durch die Schulen sollte mit Abstands- und Hygieneregeln sowie durch das Tragen von Alltagsmasken vorgebeugt werden. Nach den Herbstferien kam dann noch das Lüften hinzu. Bei zu großer Kälte in den Klassenräumen empfahl Bundeskanzlerin Merkel „Kniebeugen“ und „In-die-Hände-Klatschen“…

Und das war’s dann auch schon mit den staatlichen Empfehlungen zum Umgang mit der Corona-Pandemie in den öffentlichen Schulen.

Der „Distanzunterricht“ hatte schon im ersten Lockdown im März/April 2020 mehr schlecht als recht funktioniert. Den Schulen fehlte es an digitalen Endgeräten, digitaler Infrastruktur, funktionierenden Plattformen für digitalen Unterricht, an technisch versiertem Personal, an Breitband-Internetanschlüssen und an klaren gesetzlichen Regelungen, Richtlinien und Verfahrensanweisungen.

Den Schülerinnen und Schülern fehlten Endgeräte – an vielen Schulen wurde überrascht festgestellt, dass viele Familien zu Hause keinen Drucker haben – persönliche E-Mail-Adressen, Software, Internet-Zugänge…

Den Lehrerinnen und Lehrern fehlten ebenfalls Endgeräte, Internet-Zugänge und vor allem einer Ausbildung oder Handlungshilfen für den digitalen Unterricht.

Und mitten in dieses digitale Chaos – von den Schulministerien als „digitaler Distanzunterricht“ bezeichnet – grätschten dann auch noch Datenschutzbeauftragte aller Ebenen der öffentlichen Verwaltung und unterbanden zügig und effektiv die Nutzung bereitstehender, skalierbarer, industrieerprobter Kommunikationsplattformen amerikanischer Anbieter mit Hilfe der Regelungen der DSGVO. Plötzlich sahen sich Schulleiterinnen und Schulleiter, die kreativ und innovativ Unterricht per Video- und/oder Audiokonferenz anbieten wollten, mit Persönlichkeitsrechten, Datenschutzrechten und persönlicher Haftung konfrontiert – das Recht auf Unterricht bzw. Bildung wurde somit an vielen Stellen dem Datenschutzrecht bzw. dem Persönlichkeitsrecht untergeordnet und das Misstrauen gegenüber amerikanischen IT-Konzernen weiter gestärkt – obwohl diese die Mittel (Technologie) und die Wege (skalierbare Rechenzentren) hätten, um die Unterrichtsmisere im Lockdown wenigstens zu mindern.

Typisch für den deutschen Föderalismus ist, dass Schulen „Ländersache“ sind – was die Vereinheitlichung von Regeln nicht gerade einfacher macht und was – nebenbei bemerkt – auch durch die Corona-Krise in bemerkenswerter Schonungslosigkeit sichtbar gemacht wird. Dazu kommt, dass Schulen aus unterschiedlichen „Töpfen“ finanziert werden: Lehrerinnen und Lehrer werden von den Bundesländern bezahlt, die Schulgebäude und deren Ausstattung muss von den Kommunen getragen werden. Und auch dabei gibt es nicht einmal bundeslandeinheitliche, verbindliche Vorgaben für die (digitale) Ausstattung von Schulen durch die jeweiligen Schulministerien. Letztlich liegt es in der Hand der jeweiligen Schule und – sofern vorhanden – in der Hand eines Fördervereines, wie eine Schule ausgestattet ist. Je technikaffiner Schulleitungen und Lehrerkollegien sind, desto besser ist die technologische Ausstattung von Schulen hinsichtlich digitalem Unterricht bzw. digitaler Didaktik – weil ein Interesse und ein entsprechendes Engagement vorhanden ist, die Digitalisierung der eigenen Schule voranzutreiben. Nicht selten stoßen derartige Initiativen aber auf ablehnende Haltung bei Schulbehörden, Kommunen und letztlich auch Eltern, die alle befürchten, ihre knappen finanziellen Mittel für nicht zwingend vorgeschriebene Ausstattungsgegenstände „opfern“ zu müssen. Letztlich ziehen sich alle Beteiligten auf eine für sie günstige, abwartende Haltung zurück und harren der Dinge, die da kommen mögen und vor allem, die von jemand anderem bezahlt werden mögen.

Und was hat das für die Schulen gebracht ? Eine in den Kinderschuhen steckengebliebene Digitalisierung. Die Meinung, dass man nur genügend digitale Endgeräte in Schulen „hineinverteilen“ muss, um alles „digitalisiert“ zu haben. Tatsächlich ist in den vergangenen Jahren – besser Jahrzehnten – NICHTS hinsichtlich der Digitalisierung von Schulen geschehen. Ministerinnen und Minister haben freundlich in die Kameras gelächelt, die Digitalisierung von Schulen als Herausforderung anerkannt und mit Leuchtturmprojekten versucht, sich als „Digitalexperten“ gegenüber dem Wähler zu profilieren. Die Corona-Pandemie und die mit ihr verbundenen Lockdowns haben schonungslos sichtbar gemacht, dass sämtliche dieser Leuchtturmprojekte nichts anderes als „heiße Luft“ waren und sind. Sie konnten allesamt während der Krise nicht flächendeckend skaliert und ausgerollt werden.

Die tatsächliche Herausforderung der Digitalisierung liegt nicht darin, digitale Endgeräte an Schulen, Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler zu verteilen oder von deren Eltern die Anschaffung zu verlangen, die wahre Herausforderung liegt darin, die tatsächliche Größenordnung des Projektes zu erkennen und auf dieser Erkenntnis aufbauend eine ausreichend dimensionierte Infrastruktur und ausreichend dimensionierte Unterrichtsplattformen zu konzeptionieren, zu entwickeln, aufzubauen und flächendeckend auszurollen. Selbstverständlich gehört auch die Ausbildung der Schulleiterinnen und Schulleiter, der Lehrerinnen und Lehrer und auch der Schülerinnen und Schüler in ein solches Projekt.

Dann – was zu befürchten ist – ist der deutsche Perfektionismus. Ein solches Konzept muss „allumfassend“ sein und alle Sachverhalte einschließlich der noch so kleinsten Ausnahme berücksichtigen – statt zunächst auf Landesebene eine einfache (Schul-)Kommunikationsinfrastruktur und ein einheitliches Verfahren aufzubauen, um alle Schulen, Lehrerinnen und Lehrer sowie alle Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten, Zugangsdaten und Anwendungsschulung auszustatten. Im Grunde sollte es so laufen, wie bei einer Einstellung in einem größeren Gewerbebetrieb oder einem Industriebetrieb: mit der Einstellung werden ein digitales Endgerät, die Zugangsdaten zum System sowie eine individuelle E-Mail-Adresse vergeben. Ähnlich sollte schon bei der Einschulung jede Schülerin und jeder Schüler Zugangsdaten zum Schulnetzwerk sowie eine E-Mail-Adresse erhalten. Damit kann schon die Schule-/Lehrer-/Eltern-/Schülerkommunikation digital bewerkstelligt werden.

Als weitere „Features“ werden virtuelle „Klassenräume“ – mit Video- und Audiokonferenz – benötigt, Platz zum Daten- und Dateiaustausch und vor allem individueller Speicherplatz für jeden Beteiligten zum Speichern seiner Daten. Denn: das digitale Endgerät ist nicht das Wertvolle, es sind die im Laufe der (Schul-)Jahre darauf gespeicherten Daten, Dokumente und Notizen – und diese sollten automatisiert auch an einem „unverlierbaren“ Ort gespeichert werden. Übrigens: Verschlüsselung sollte dabei auch selbstverständlich sein…

Rückblickend auf ein Jahr Corona-Pandemie und bisher zwei Lockdowns bleibt nur die enttäuschte Feststellung, dass die Zeit zwischen erstem und zweitem Lockdown ergebnislos verstrichen ist. Obwohl – nicht ganz ergebnislos: immerhin konnte eine Empfehlung zur Lüftung von Klassenräumen „erarbeitet“ und „ausgerollt“ werden…

HINWEIS:
Die Reihe wird locker fortgesetzt. Sobald ich den nächsten Teil fertig geschrieben habe.