(CB) Kennt Ihr das ? Ihr seht Bilder und lest Kommentare und denkt Euch „Was machen wir hier eigentlich ?“. Ja, was machen wir Amateur-Fotografinnen und Amateur-Fotografen eigentlich ? Natürlich – wir fotografieren. Aber darf man das, was Amateure machen, auch als „Kunst“ bezeichnen ?
Mit fällt da ein Zitat von Ralph Waldo Emerson (1803-1882) ein:
„Jeder Künstler hat irgendwann einmal als Amateur angefangen.“
Was nichts anderes bedeutet, als dass jeder Amateur auch schon ein Künstler ist, der Kunstwerke schafft. Überträgt man das auf die Fotografie, so sind Amateur-Fotografinnen und Amateur-Fotografen ebenfalls Künstler. Nur: ich glaube, dass dies vielen gar nicht so bewusst ist und sogar von vielen negiert würde.
Dabei hat eine Amateur-Fotografin oder ein Amateur-Fotograf etwas, das Berufsfotografen in der Regel nicht haben: Zeit. Zeit, sich mit den Motiven auseinanderzusetzen. Während der Berufsfotograf in kürzester Zeit die Bilder machen muss, die sein Kunde wünscht, können sich die Amateure die Zeit nehmen, die sie brauchen, um ein Bild aufzunehmen. Dazu kommt, dass der künstlerische Freiraum des Profi-Fotografen durch die Vorstellungen des Auftraggebers stark eingeschränkt wird – der Kunde will nur das bezahlen, was er wirklich braucht und was seinen Vorstellungen entspricht. Gleichzeitig schränken die Wünsche und Vorstellungen des Kunden den Profi-Fotografen in der gestalterischen Freiheit ein. Der Amateur kann dagegen ganz entspannt seine Vorstellungen umsetzen und seine Ideen in sein Bild einfließen lassen.
„Künstler“ haben natürlich auch ihre eigenen Vorstellungen, wie „ihr“ Bild gestaltet werden soll – und nutzen dann die Technik, die ihnen am sinnvollsten zur Erreichung der Vorstellungen erscheint. Dazu kommt dann noch die Bildgestaltung, d.h. wie wird das Motiv effektvoll in Szene gesetzt. Künstler – und darunter fasse ich auch Amateur-Fotografinnen und -Fotografen zusammen, machen sich während des Schaffensprozesses Gedanken über das Ergebnis ihres Schaffens.
Juristisch erlangt ein Bild dadurch einen höheren Status – es ist jetzt ein Lichtbildwerk und nicht mehr nur ein einfaches Lichtbild. Denn unter einem Lichtbildwerk versteht der Jurist ein Lichtbild mit einer gewissen intellektuellen Schaffenshöhe – dem Lichtbild dagegen fehlt diese Schaffenshöhe.
Man kann sich nun trefflich streiten, ob ein „Lichtbildwerk“ ein „Kunstwerk“ ist – im juristischen Sinne ist es das bereits, denn die Anforderungen an die Schaffenshöhe sind nicht wirklich hoch. Es ist ausreichend, dass sich die Fotografin/ der Fotograf Gedanken über die Gestaltung seines „Lichtbildes“ gemacht haben, um es zum „Lichtbildwerk“ werden zu lassen. Idealerweise kann der Künstler diese Zusammenhänge auch belegen bzw. dokumentieren…
Aber nicht nur einmal habe ich bemerken müssen, dass der Begriff der „Kunst“ in den Bilddiskussionen der einschlägigen Fotografie-Foren negativ konnotiert ist. Negativ in dem Sinne, dass bei kunstbezogener Argumentation dem Anwender derselben unterstellt wird, mit „Kunst“ besonders krasse „Fehler“ eines gezeigten Bildes zu entschuldigen oder sich über den Weg der Kunst-Deklaration der Kritik entziehen will.
Aber woher kommt das ? Ich glaube nicht, dass eine Amateur-Fotografin oder ein Amateur-Fotograf tatsächlich etwas dagegen hat, als „Künstlerin“ oder als „Künstler“ benannt zu werden – zumindest dann nicht, wenn durch die Verwendung des Wortes „Künstler/in“ besonders positive Aspekte eines Bildes oder einer Bildserie herausgestellt werden soll. In diesem Fall könnte man sozusagen von einem „Ritterschlag“, einer besonderen Ehre sprechen…
In vielen Diskussionen wird jedoch sehr „technisch“ diskutiert, sehr „technisch“ argumentiert. Dies ist auch verständlich, da die technischen Aspekte eines Bildes sehr viel einfacher in allgemein anerkannten technischen Regeln „fassbar“ gemacht wurden. Sehr oft lese ich in Bildkommentaren Sätze wie „Schöne Schärfe, schöner Schärfeverlauf, tolles Bokeh, tolle Lichtstimmung. Alles richtig gemacht. Schönes Bild.“
Im Grunde also nur technische Begriffe der Fotografie. Noch heftiger finde ich Sätze wie z.B. „Alle Regeln eingehalten. Super!“ oder – etwas „verklausulierter“: „Gestaltung nach allen Regeln der Kunst!“ Auch hier drückt sich die „technische Sicht“ auf ein Bild aus – die Qualität des in der Diskussion stehenden Bildes wird alleine an der Einhaltung von Regeln gemessen und bewertet. Der Bewertungsmaßstab sind also Regeln, die einzuhalten sind. „Gestaltung nach allen Regeln der Kunst!“ setzt dem Ganzen dann noch ein „Sahnehäubchen“ auf und suggeriert dem Leser, dass Kunst Regeln folge, ja, sogar zu folgen habe. Deshalb formulierte ich dazu „etwas verklausulierter“, denn im Grunde ist auch hier der Qualitätsmaßstab wieder die bindende Einhaltung von Regeln, diesmal unter dem „Deckmäntelchen“ der Kunst, die eben auch Regeln Folge zu leisten habe. Und nur die Einhaltung der „Regeln der Kunst“ führt zu einem „guten“ Bild.
Aber: „Kunst“ und „Regeln“ ? Ist das nicht ein Widerspruch ? Vor allem, was sind das für Regeln ? Im Hinblick auf die Fotografie sind damit wohl die allgemein anerkannten fotografischen Regeln gemeint, jene willkürlich über die Zeit aus „Erfahrungen“ festgelegten Regeln, die es erlauben, Mittelmäßigkeit zu reproduzieren. Wie viele Bilder werden von Fotografinnen und Fotografen auf der ganzen Welt immer wieder automatisch in Drittel eingeteilt ? Gerade diese „Drittelregel“ ist so tief in das kollektive „Regelwerk“ der Fotografie eingebrannt worden, dass die Kamerahersteller das Sucherbild ihrer Kameras in drei horizontale und drei vertikale Felder einteilen. Wenigstens kann man diesen Unsinn bei den meisten Kameras inzwischen abschalten. Statt die Fotografie als das zu sehen, was sie wirklich ist – nämlich die Aufzeichnung eines ultrakurzen Momentes – wird sie in das Regelwerk der Malerei hineingepresst.
Man muss den allgemein anerkannten fotografischen Regeln aber zu Gute halten, dass sie einfach und daher leicht zu merken sind. Ebenso leicht gehen sie Fotografinnen und Fotografen „in Fleisch und Blut“ über, so dass die meisten Fotografinnen und Fotografen beim Fotografieren automatisch nach diesen Regeln fotografieren. So erzeugen sie wenigstens allgemein anerkannt „schöne“ Bilder…
Doch was macht nun den Begriff der „Kunst“ für viele so sperrig ? Kunst passt eben nicht in ein starres Korsett aus Regeln – und auch wenn viele unbewusst meinen, dass ein Regelwerk für die Kunst unverzichtbar ist, so ist diese Haltung doch falsch und sollte überdacht werden.
Kunst lebt vielmehr von Inhalten und nicht von formaler Regelbeachtung. Ein Kunstwerk – unabhängig ob nun ein Gemälde oder eine Fotografie – transportiert eine Botschaft. Mal ist die Botschaft offensichtlich, mal ist sie versteckt, verschlüsselt.
Und gerade weil es keine allgemein anerkannten Regeln gibt, diese Botschaften a) im Kunstwerk unterzubringen und b) diese in einem Kunstwerk zu erkennen, fällt es vielen schwer, über den künstlerischen Aspekt, über die Botschaft von Bildern zu diskutieren. Der Rückzug auf das erlernbare Regelwerk eröffnet eben einen viel einfacheren und daher attraktiveren Weg über Bilder zu diskutieren. Nur, dass die Diskussion inhaltsleer bleibt und sich an technische Bildaspekte klammert („Schöne Schärfe. Tolles Bokeh…“).
Insofern ist die inhaltliche Diskussion über Bilder erheblich schwieriger, da die durch Regeln gesteuerte Vereinfachung durch Reduktion auf einfach erkennbare Sachverhalte fehlt. Statt Regeln als „Diskussionsleitfaden“ werden jetzt individuelles Wissen, Erfahrung, intellektuelle Fähigkeiten und Argumentationsvermögen von den Diskussionsteilnehmern verlangt, da die inhaltliche Diskussion herauszuarbeiten versucht, welche Botschaft ein Bild birgt, ja sogar verbirgt. Dies führt schon aufgrund der oftmals verschiedenen Wissens- und Erfahrungshorizonte der Diskussionsteilnehmer zu diametral verschiedenen Sichtweisen, Standpunkten und Argumentationsketten. In der Regel führen genau diese Umstände dazu, dass die Diskussion zu der (bisher nicht beantworteten) Frage führt, ob ein Bild auch einfach „nur schön“ sein darf, oder ob ein Bild immer eine Botschaft transportieren muss und ob diese Botschaft auch klar erkennbar sein muss. Diese letztere „Nur Schön!“-Argumentationskette wird dann zumeist von denen geführt, die in der Interpretation von Bildern ungeübt sind, sich daher oft hinter „Das ist doch alles nur Blah, Blah“ verstecken und tatsächlich eher in der technischen Bildbetrachtung und -kritik geübt sind.
In nicht wenigen Fällen führt eine klar erkennbare Botschaft in einem Bild zu seiner unmittelbaren Zensur, ja sogar bis hin zur Bedrohung des Lebens der Fotografin bzw. des Fotografen. Besteht dieses Risiko, so tut die Fotografin/der Fotograf natürlich gut daran, entweder keine Botschaft in seinen Bildern auszudrücken, also quasi „nur schön“ zu fotografieren und das Bedürfnis der eigenen Mitteilung zu unterdrücken oder die Botschaft so gut zu verstecken, dass sie entweder nicht einfach zu entdecken ist oder zumindest in doppeldeutiger Art und Weise interpretierbar ist. Fotografie ist also auch immer im Kontext ihrer Entstehung zu interpretieren – was nicht einfach ist, wenn man keine Übung im Interpretieren hat, sondern nur eine technische Sicht auf die Dinge entwickelt hat.
Ob ich nur Bilder mache, die Botschaften enthalten ? Nein, sicher nicht. Aber „nur schön“ befriedigt irgendwie nicht mehr…